Montag, 30. November 2020

Leto - Wider (Rookie Records)

Wäre die Band Leto ein Studienfach, hätte man im Hauptfach Turbostaat, dazu als Wahlpflicht Billy Talent, Feine Sahne Fischfilet, Fjørt und Leitkegel. Wer hier denkt, dass das dann alles Punk ist, liegt nicht ganz falsch. Die Gitarren werden hier weitaus virtuoser gespielt, der Bass hat mehr Platz im Raum und das was, dann noch übrig ist, wird von einem ordentlich hämmernden Schlagzeug aufgefüllt. Das sorgt bereits auf den ersten Metern für zuckende Tanzbeine und nickende Köpfe. 

Dabei ist geht es hier um viel mehr. Auf diesem Langspieler werden die inneren Dämonen ausgegraben, man kämpft mit den Selbstzweifeln und der Selbstoptimierung. Dennoch könnte man einige Texte anders interpretieren. Zum Beispiel der Titel Blau: diese Farbe hat auch die AFD, und die Textzeilen passen ebenso auf die Mitglieder und Wähler der AFD. Da geht es um Sitzenbleiber, um Leute die sich das Alte zurückwünschen. Aber der Band geht es um die Geschlechterrollen, die direkt zu Begin festgelegt sind, inklusive der Berufe, die man lernt und den Eigenschaften, die man dem Geschlecht anrechnet. Der Text zu Treibsand könnte auch von der modernen Konsumgesellschaft handeln. Alles ist so gebaut, dass es relativ schnell kaputt gehen kann und dass das neue dann eh besser sei, als das Objekt, welches mal eben ein paar Monate genutzt wurde. Dabei geht es hier um die Entwicklungen der Heimatstadt des Quartetts. 

Mit Kammerflimmern gibt es sogar einen Ohrwurm, der sich tief in die Hirnwindungen einklinkt und da für ein paar Tage (jetzt wirklich) verweilt. Der Anfang wirkt zwar noch, wie Hurz von Hape Kerkeling, die Aufklärung folgt dann aber im Refrain. Es fehlen Worte um das vollständige Bild zu zeigen. Es muss aber alles immer schneller gehen, damit man up to date ist um dann alles mit der nächsten Nachricht vergessen zu haben. 

Der geneigte Zuhörer wird mitbekommen haben, dass Wider wie aus einem Guss wirkt. Die Lieder wurden am Stück geschrieben. So bleibt der Drive über die gesamte Spiellänge von 31 Minuten erhalten. Eh man es sich versieht ist man entweder alle Titel durch oder der Player fängt schon wi(e)der von vorne an. Und dann schmettert man mit. 

Release: 09.10.2020
Label: Rookie Records

Anspieltipps: Kammerflimmern, Auen und Orchideen, Treibsand, Katzenwäsche

5.5/6 Punkten (Das wächst schwer aus den Hirnwindungen heraus.)

Leto - Wider
(Quelle: Presskit von Rookie Records)

Dienstag, 17. November 2020

Sólstafir - Endless Twilight of Codependent Love (Season Of Mist)

Die Männer von Sólstafir schaffen es immer wieder, dass ihre Musik so klingt, wie man sich Island vorstellt. Rau, kalt, verlassen und menschenleer, windig und unbarmherzig. Auf Endless Twilight Of Codependent Love setzt sich dieser Sound fort, den man seit Äonen beherrscht. Dabei bewandert man aber nicht nur alte, bereits ausgetretene Pfade, die man mitunter hier im Blog bereits gehört hat, sondern versucht sich im Black Metal oder eher Blackgaze. Selbst ein Teil der Deftones hat es auf Úlfur geschafft, es kann mir hier keiner erzählen, dass er da nicht die Gitarren von Change (In The House Of Flies) hört. Aber es sei ihnen gegönnt, denn auch dieser Sound steht ihnen irgendwie. 

Was etwas irritiert, ist das Intro von Drýsill. Man betreibt Tapping, aber irgendwie scheint die Gitarre nicht ganz sauber gestimmt zu sein oder es klingt einfach nur wegen der Spielweise so. Zum Glück dauert es nicht lang, bis man eine Orgel in den Raum stellt. Das Album klingt generell etwas rauer, man bettet nicht mehr alles riesige Soundwände ein, wie auf dem Vorgänger Berdreyminn. Die Produktion tut ihr übriges, so dass man wirklich denkt, dass einem der starke Wind Islands ständig und unentwegt ins Gesicht bläst. Überlange Titel konnte man schon immer, so gibt es auch hier Songs die gut und gerne mal um die 7 oder gar 8 Minuten lang sind. Es wirkt aber nichts unnötig in die Länge gezogen, jede Minute bleibt spannend und kurzweilig. 

Thematisch ist dieses Album sehr dunkel, es geht um die eigenen Dämonen und die des Umfeldes. Es geht darum, wie Menschen sich langsam umbringen. Und es geht um psychische Krankheiten, die Menschen verändern, bis sie daran sterben, wie Alzheimer. Man ist dann wie im Film und wartet darauf, das bestimmte Dinge eintreffen. Man kann nichts machen, außer zuzusehen. 

Wer die Vorgänger der Band bereits hatte, der wird auch dieses Album haben/kaufen und feiern. Menschen, die Sólstafir bisher nicht kannten, können hier einen Einstieg finden. Die Sprache könnte vielleicht eine Hürde darstellen, aber es gibt weltweit Fans, die ihre Songs auf Isländisch mitschmettern. Man muss es eben nur wollen und sich auf Titel einlassen, die jenseits des 3:30-Schemas sind und ein Albumhörer sein.  

Release: 06.11.2020
Label: Season Of Mist

Anspieltipps: Úlfur, Alda Syndanna, Akkeri

6/6 Punkten (Man kann den kalten Wind auf der Haut schon spüren.)

Sólstafir - Endless Twilight of
Codependent Love
(Quelle: Presskit von Season Of Mist)

Sonntag, 1. November 2020

Bitch Falcon - Staring At Clocks (Small Pond Records/Fleet Union)

Bitch Falcon, die hatten wir hier mal, könnte man getrost als Band der Lagen bezeichnen, obwohl die Musiker_innen nur zu dritt sind. Das dubliner Trio gibt es bereits seit 2014, nur hat man es noch nicht geschafft, ein Album auf die Beine zu stellen. Es gab eine EP und ein paar Singles. Nun Starren wir zusammen mit den Künstlern, die allesamt einer normalen Tätigkeit nachgehen, auf Uhren. Staring At Clocks beginnt mit einem relativ verstörendem Geräusch. Wenn ihr Nachbarn habt, die ihr ärgern wollt, dann könnt ihr das Intro von "I'm Ready Now" nehmen. Dabei ist das Album alles andere, als eine lose Ansammlung von Geräuschen, das konnte man bei der Single Gaslight ausgiebig erkunden. 

Wir betreten eine 41 Minuten große Kathedrale. Das ist als Raummaß schon eigenartig, das Album ist nun mal nicht länger. Von allen Seiten wird der Klang reflektiert, von klaren, riesigen wänden, die kühl scheinen. Man wähnt die Band an jeder Ecke, der Bass ist stets präsent, die Gitarren geben mal pure Verzerrungen wieder, ein anderes Mal werden die Saiten klar angeschlagen und fast ungefiltert über die Verstärker wiedergegeben. Und trotzdem es um echt Teilweise finstere Thematiken wie Depressionen, niedriges Selbstbewusstsein und Ängste geht, sind die Songs mit Energie geladen. Es gibt schnelle Rhythmen, wie in Damp Breath; es wird auch mal entspannt mit verschlafenen Augen zu Klängen getanzt, die aus den 80ern sein könnten. Der Bass und die Gitarre stehen auch mal in einem Konflikt zueinander, als würden sie das eine nicht mit dem anderen in Übereinstimmung bringen können. Die Band bezeichnet ihre Musik als Dream Grunge. Vielleicht fühlt sich eine Depression auch so an, denn dies ist nicht nur ein Stimmungsbild, sondern befällt den Organismus. Die vielen Einflüsse von außen treffen zusätzlich auf einen ein und um klar zu kommen, verkriecht man sich. 

Die Produktion ist übermächtig gut und wird der Musik mehr als Gerecht. Die Samples, die aus Trickfilmserien der 80er sein könnten, passen ins Bild, dabei sind die Künstler zu dritt und bedienen eigentlich nur die analogen Instrumente. Das wird auf der Bühne sicher lustig. Obwohl, da war ja was. 

Release: 06.11.2020
Label:  Small Pond Records

Anspieltipps: Gaslight, Damp Breath, Test Trip

6/6 Punkten (Jetzt werden alle auf den Kalender starren & auf das Ende des Novembers warten.)

Bitch Falcon - Staring At Clocks
(Quelle: Presskit von Fleet Union)