Was natürlich zuerst ins Auge fällt: der Name der Band. Rauchen. Der Name ist relativ provokativ. In der Schule waren die Raucher früher die Coolen in der Schule, das Marketing hat die Raucher als harte Kerle abgestempelt und in „Stirb Langsam“ sieht man, wie sich Bruce Willis im Flughafenterminal erstmal eine Kippe anzündet. Rauchen ist heutzutage verpönt, Raucher müssen vor die Tür. Woher kommt der Name?
Fritz Kröbel: Ich bin bei der Bandgründung der einzige Nichtraucher gewesen und bin es tatsächlich immer noch. Wir hatten bereits einen englischsprachigen Namen, da haben wir aber noch nichts aufgenommen. Das hat sich dann ein bißchen zerschlagen und aus Mangel an Alternativen und in Hamburg gibt es einen Kiosk, der heißt „
Tabakbörse“, danach haben wir auch unsere
erste EP benannt. Da haben wir dort immer nach den Proben abgehangen und Bier getrunken. Wir haben damals in einem alten Bunker geprobt, da haben wir es nur eine halbe Stunde drin ausgehalten und sind dann zur Tabakbörse. Unser Gitarrist (Philipp Oppenhäuser) meinte dann irgendwann, lass die Band doch „Rauchen“ nennen, als wir dann alle rauchten, außer mir. Jeder hat dann eine Nacht drüber geschlafen und wir haben dann unsere Telegramm-Gruppe umbenannt in Rauchen und so ist das geblieben. Oder Fritz, hast du da ne andere Geschichte?
Fritz Heidel: Nadine und ich haben bei dem letzten Interview herausgefunden, dass jeder eine andere Story zu diesem Namen hat. In der Essenz ist es aber genau das: wir saßen irgendwann biertrinkend um die Ecke von unserem Proberaum, weil keiner irgendwie Bock hatte in dem Bunker abzuhängen und dann sagte irgendwer: „Rauchen, ja genau, Rauchen.“ Für manche war das sofort klar, andere mussten noch eine Nacht drüber schlafen und dann ist es das geworden. Es gab da auch erstmal keinen tieferen Sinn, es klang halt cool und dann haben wir entschieden: Das ist es jetzt.
Die Konstellation auf dem Album hört sich so an, als wurde es aus drei EPs zusammengestellt. Das ist auch unüberhörbar. Warum sind die Brecher alle in der Mitte? Es fühlt sich wie ein Aufstieg an, man schwoft, es ist shoegazig. Dann wird einem direkt in den Nacken getreten, die Nadine rastet vollständig aus und dann geht es später wieder bergab. Wer hatte die Idee?
Heidel: Die Idee war, dass wir drei EPs rausbringen und dass diese nicht alle gleichzeitig sondern zeitversetzt veröffentlicht werden. Mit
ersten EP wollten wir zeigen, dass wir etwas neues gemacht haben. Mit der
zweiten EP wollen wir aber die Menschen, die unsere erste EP kennen. Die Reihenfolge auf der Vinyl ist der Reihenfolge des Releases geschuldet. Wir wollten erste was neues rausbringen, dann wollten wir ne EP rausbringen, auf der wir zeigen, dass wir immer noch Krach machen. Und danach, etwas was fernab der ersten und zweiten EP ist. Das ist zumindest unsere Wahrnehmung.
Meine subjektive Meinung ist, dass EP I und EP III so ein bisschen aneinanderknüpfen. Der Zwischenpart wirkt eher so: „Wir treten euch immer noch kaputt, weil ihr das so wollt.“
Heidel: Wenn du das so sagst.
Ich finde es interessant. Sowas kennt man von Rolo Tomassi oder Employed To Serve. Die Frau am Mikro rastet völlig aus und die Mitglieder steigen mit ein, als wenn es kein Halten mehr gibt. Man hat als Zuhörer nach dem Rand gesucht, wo man mal kurz Luft holen konnte. Bei eurem Album ist das ja gegeben. Man muss aber geistig bei eurem Album dabei bleiben.
Kröbel: Wenn du es auf Platte hörst, sind die ersten beiden EPs auf der A-Seite und die dritte ist auf der anderen Seite. Wir haben es auch nicht so geschrieben, dass man es hintereinander hören muss. Ich zum Beispiel höre die EPs eher in sich, nicht von EP I bis EP III, sondern eher als einzelne Schritte. Und man muss auch sagen, dass unsere beiden Platten, die wir vorher gemacht haben, sehr ähnlich wie EP II waren. Wir wollten da kurz nochmal hin, dennoch wollten wir auch was anderes wagen.
Ein Intro erinnerte mich so ein bisschen an einen Rocky-Film. Ihr wechselt dann aber in einen anderen Rhythmus, was dann verwundert.
Kröbel: Du meinst das
Europe-mäßige?
Genau.
Bei den Texten weiß ich jetzt leider nicht, inwiefern ihr da mitgewirkt habt. Da wird wahrscheinlich eher die Nadine was zu sagen können. Was mir aufgefallen ist: die berechtigte Kritik an der heutigen Gesellschaft. In Monopoly zum Beispiel, wo man selber sagt: „Moment, das geht so nicht, wie es hier gerade läuft.“ Oder auch Schlüsselkind: sie singt scheinbar aus der Sicht eines Mannes und findet es normal. Bei Männern würde man nicht stutzen, bei einer Frau eher schon. Oder ist das mein Missverständnis und mein versautes Denken durch den Deutschunterricht?
Kröbel: Nadin schreibt eigentlich die Texte, sie hat freie Handhabe. Sie kommt dann mit einem fertigen Text und stellt ihn uns vor. Das Konzept der drei EPs ist, dass sich eine Sache entwickelt. EP I ist eine Momentaufnahme, EP II ist ein Transformationsprozess und EP III ist eine Wunschvorstellung. Da ist „Schlüsselkind“ eine Wunschvorstellung, wie es sein sollte. Dass man als Frau alleine nach Hause gehen kann, ohne das Handy am Ohr zu haben und zu tun als hätte man ein Gespräch. Das ist die Utopie, die angestrebt wird. Fritz, möchtest du dazu noch mehr sagen?
Heidel: Ja. Die Idee ist in dem Fall, dass es nicht darum geht, wie es wäre, wenn eine Frau das macht, was Männer machen. Bei der dritten EP, zu der „Schlüsselkind" gehört, ist ein positiver Ausblick, eine Utopie. Was würde man als Frau als erstes machen, wenn es keine Typen gäbe. Oder wenn das alles nicht irgendwie scheiße besetzt wäre. Man könnte sich einfach, ohne eine Gefahr zu sehen, in den Park setzen und sich betrinken. Oder einfach so Musik hören und beim Nachhauselaufen keinen Schlüssel in der Hand haben. Die ganzen Situationen, die da beschrieben werden, sollen so gesehen werden, dass man ohne irgendwelche Sorgen oder Hintergedanken nach Hause gehen kann.
Ist das in Hamburg auch so ein Thema? Ich dachte, dass man da schon etwas weiter ist, als meinetwegen hier im Osten?
Heidel: Ist das nicht vielleicht eher ein Problem auf der ganzen Welt?
Ich dachte man wäre da Jahre voraus, als hier in Cottbus, wo ich wohne. Da überlegt man sich: „Oh, die Querschwurbler sind in der Stadt, geh mal lieber nicht vor die Tür.“ In Hamburg oder in Berlin würde ich nie drüber nachdenken.
Heidel: Da geht es weniger um Nazis als um Männer und generell Gewalt, die von Männern aus geübt wird. Dumm gesagt, kannst du ja mal einen Feldtest und weiblichen Freundinnen vortragen. Du kannst dann ja Fragen: „Läufst du auch manchmal mit einem Schlüssel in der Hand nach Hause, wenn du Angst hast?“ Oder „Tust manchmal so, als würdest du telefonieren, wenn jemand auf deinem Heimweg hinter dir herläuft?“
Das ist egal ob in Cottbus oder sonst woanders auf dieser Welt. Das ist das Patriarchat immer noch ein Ding. Gewalt an Frauen und Einschuss für die Filterung von Frauen in alltäglichen Situationen ist immer noch ein Ding.
Die gesamte EP muss aufmerksam gehört werden. Dadurch, dass die Texte auf Deutsch sind, sind sie für uns im deutschsprachigen Raum greifbar. Man kann aber auch an einigen Stellen, wenn man nicht ganz so fit ist, missinterpretierten, wenn man es so will.
Kröbel: Die Texte sind aber mit Absicht so. Aber das ist nicht das erste Mal, dass wir Fragen zu „Schlüsselkind“ bekommen haben. Aber darum geht es auch. Unsere ersten EPs waren noch sehr eindeutig, ist es hier ein bisschen mehr Platz für Interpretation. Man fällt nicht direkt mit der Tür ins Haus.
Stellt euch vor, eure Texte würden in hundert Jahren im Deutschunterricht behandelt.
Heidel: (lachend) Cool wäre es, aber ich denke mal, dass die was Besseres zu lesen haben als unsere Musik.
Wenn man aber überlegt, was so im generischen Radio, in der UKW-Landschaft so läuft, ist das recht eintönig und echt zu beliebig. Mir sind Texte, die zum Nachdenken einlädt oder Musik, die aus dem Rahmen fällt, lieber.
Heidel: Das ist ja vollkommen verständlich. Die Idee von Radio ist ja meistens irgendwie Hintergrundgeplänkel. Es wird aber auf der anderen Seite einfach das bedient, was Menschen hören wollen. Und wenn Menschen in diesem Moment irgendetwas Belangloses hören wollen, dann wollen sie das wohl hören. Und das ist ja vollkommen ok.
Kann aber auch dazu führen, dass man irgendwann irrelevant wird, weil der Sound out ist.
Heidel: Das ist ja auch Teil des Geschäfts. Wenn die Teil der Musikbranche bist und damit irgendwie Kohle machen willst, dann musst du dich an den Käufer:innen orientieren.
Kröbel: Stell die vor, wir würden im Radio laufen.
Heidel: Wenn wir im Radio liefen, wäre das cool. Aber stell dir mal vor, die Leute würden sagen, ihr seid radiotauglich. Dann wäre das halt so.
Es gibt hier einen Radiosender in der Region, radioeins, der ist auch eher für Musiknerds gedacht. Da könnte man euch spielen, zumindest die shoegazigen Sachen. Die anderen wären etwas out of place, aber das ist schon gut. Wo wir gerade dabei sind. Wer kam auf die Idee, Shoegaze hineinzumischen.
Kröbel: Ich fand es lustig, dass du Shoegaze gesagt hast. Wir haben jetzt schon sehr viel gehört:
Postpunk,
Grunge, alles mögliche. Ganz allgemein kann man sagen, dass es schwer einzuordnen ist, was es denn ist. Shoegaze kommt hier und da vielleicht hin, aber ich bin auch der einzige in der Band, des das ansatzweise hört. Grundsätzlich haben wir bei Null angefangen und wir haben uns am Anfang auch gesagt, dass wir was neues machen wollen. Wir wollten weg von dem klassischen Geballer, was wir gemacht haben. Wir haben dann, dank
Corona, sehr viel Zeit im Proberaum verbracht. Vor allem auch zu dritt mit unserem Gitarristen Philipp. Der hat viele neue Pedals und unser Schlagzeuger (Fritz Heidel) hat viele Riffs und Songideen mit reingebracht. So haben wir dann einfach gebastelt und am Ende ist das dabei herausgekommen. Das betrifft aber alle drei EPs. Wir haben die Stücke durcheinander geschrieben, als fließender Prozess.
Jetzt kommt ein kleiner Bruch:
Habt ihr sowas Day-Jobs, wo dann vielleicht die Inspiration und Ideen für die Songs herkommen?
Heidel: Die Inspiration für die Musik ziehe ich aus allem anderen, außer der Arbeit. Ich weiß nicht, ob das bei dir anders ist Fritz.
Kröbel: Bei den Texten, ohne da jetzt zu viel zu sagen, zieht die Nadine da sehr viel aus der Arbeit. Wir müssen das jetzt aber nicht weiter vertiefen. Es ist aber recht unterschiedlich, wo wir unsere Interpretationen herbekommen.
Arbeit ist ja auch ein Thema auf der EP. Wenn du die
Monotonie anhörst, da geht es um die Monotonie der Arbeitswelt.
… und dass dein Boss nicht dein Freund ist. Schmerzliche Erfahrungen durfte ich damit schon machen.
Heidel: Wer nicht? Wer nicht?
Aber ist das dann eher so ein amerikanisches Ding? Man ist 9 to 5 auf Arbeit, macht noch ein paar Überstunden und geht dann noch mit dem Betrieb in ne Bar? In meinem alten Betrieb kannte ich ein paar Leute, mit denen man auch abends einen trinken hätte gehen können, aber doch nicht mit dem ganzen Betrieb.
Heidel: Ne, locker nicht. Es kommt auch drauf an, wo du arbeitest und wie. Natürlich kannst du nicht immer mit allen Menschen, aber je nachdem wo du arbeitest, kannst du mit dem Großteil der Leute gut und gern noch ein Bier trinken. Ich habe bis Corona in der Life-Musik-Branche gearbeitet und hab immer noch mit Philipp zusammen eine kleine Managementagentur. Wenn wir da noch life unterwegs gewesen sind und ne Tour gemacht haben, haben wir dann abends am Bus noch ein Bier getrunken. Das gehört einfach dazu, ist aber auch dem Job un dem Arbeitsumfeld geschuldet. In meinem jetzigen Job würde ich das nicht machen, denke ich.